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Nam June Paiks "Exposition of Music - Electronic Television", 11.-20.3.1963

„Vor der Eingangstür erwartet den Besucher ein abgehackter Ochsenkopf, bluttriefend, frisch geliefert vom Schlachthof, und etwas verregnet bei dem schlechten Wetter. Später, am Ausgang, begegnet man dem Kopf wieder. Man begrüßt ihn, nach allem, was man in der Zwischenzeit erlebt hat, wie einen alten Bekannten.“ Diese einleitende Beschreibung eines Kritikers der NRZ vom 15.3.1963 zeugt von dem befremdlichen Gefühl, das Nam June Paiks Ausstellung Exposition of Music - Electronic Television in der Wuppertaler Galerie Parnass des Galeristen und Architekten Rolf Jährling bei dem damaligen Besucher hinterlassen haben muß.

Das Foto aus dem Bestand des Zentralarchivs zeigt die Anlieferung des Ochsenkopfes, der, präpariert mit Schnüren, soeben im Eingangsbereich der Galerie Parnass aufgehängt wurde. Der Bauer in der Mitte hält das lange Ende der Schnur in der Hand. Rechts von ihm nähert sich Nam June Paik, vermutlich mit einem Messer, um das restliche Ende der Schnur zu kappen. Auf der Treppe links sitzt der Künstler Peter Brötzmann, damaliger Assistent von Nam June Paik, der Mann mit der Baskenmütze rechts von ihm betrachtet das Geschehen mit Skepsis, während die Mitarbeiter des Architekturbüros Jährling in den weißen Kitteln dies alles hingegen für einen Scherz zu halten scheinen. Scherzhaft war die Aktion von Paik allerdings keinesfalls gemeint: der Ochsenkopf als Entrée in die Ausstellung war gleichsam als Teil eines schamanistischen Rituals zu verstehen, welches der Besucher der Ausstellung zu absolvieren hatte. Paik wollte das Publikum in einen anderen Bewußtseinszustand versetzen: „Sie müssen high sein. Um in den Highzustand zu gelangen, braucht man einen kleinen Schock. So gebrauchte ich diesen visuellen Schock. So ging man zu meiner Ausstellung, sah den Kopf und war high.“

Für März 1963 bot Rolf Jährling Nam June Paik eine erste Einzelausstellung in der Galerie Parnass an. Sie sollte zu einer der Schlüsselausstellungen des 20. Jahrhunderts werden. In den 1950er und frühen 1960er Jahren galt die Galerie Parnass als eine der ersten und bedeutendsten Nachkriegsgalerien im Rheinland, die internationale zeitgenössische Kunst, Literatur und Musik vertrat. Neben deutschem Informel bot die Galerie zwischen 1962 und 1965 frühen Fluxus- und Happening-Aktivitäten ein erstes öffentliches und experimentelles Forum. Rolf Jährling mußte Nam June Paik, der zwischen 1958 und 1963 in Bensberg bei Köln lebte, bei seinen frühen Auftritten im Rheinland wie in der von Jean-Pierre Wilhelm geführten Galerie 22 in Düsseldorf, im Atelier Mary Bauermeister in Köln oder spätestens – wie ein Brief von Jean-Pierre Wilhelm an Rolf Jährling belegt – während des legendären Fluxus-Konzerts NEO-DADA in der Musik 1962 in Düsseldorf begegnet sein. Der Galerist Jean-Pierre Wilhelm hatte auch den Kontakt zwischen Paik und Rolf Jährling hergestellt bzw. weitere Ausstellungen vermittelt. Er trat auch als Redner bei der Eröffnung der Ausstellung Exposition of Music – Electronic Television auf.

Was den Besucher in der Galerie Parnass damals erwartete, glich keiner herkömmlichen Ausstellungspräsentation; sie muss wie eine Bewußtseinserweiterung gewirkt haben. Fast alle Räume der Galerie und der Garten waren in den Gestaltungsprozeß einbezogen: in der Halle standen vier mit verschiedenen Objekten wie Haushaltsgegenständen, Kinderspielzeug, Schuhe, Büstenhalter und Stacheldraht präparierte Klaviere; die Bedienung der Tasten löste Geräusche und Lichteffekte aus. Im Fernsehraum befanden sich 12 von Paik manipulierte Fernseher, die verzerrte Bilder, Raster oder Striche wiedergaben. Ein umgekehrter Gipskopf hing über der Toilette, im Keller konnten von Plattenspielern gelöste Tonabnehmer, nur noch mit Kabeln verbunden, zu musikalischen Experimenten an einem Schallplatten-Schaschlik genutzt werden; im Heizungskeller hingen blecherne Klangobjekte. Tomas Schmit, der beim Aufbau der Ausstellung half, berichtet rückblickend: „allerlei klingkram auf der treppe ins obergeschoß; wer sie benutzt, hört seine stapfen anders als sonst; sofern er sie sonst überhaupt hört. In der badewanne liegt, kopf unter wasser, fuß über rand, eine schaufensterpuppe.“

Die Sprengkraft und Bedeutung der Ausstellung Expositon of Music – Electronic Television lag nicht nur in der experimentellen Überschreitung der Gattungsgrenzen und Auflösung des klassischen Werkbegriffs, in denen sich bereits konzeptuelle und intermediale Tendenzen abzeichnen, mit der erstmaligen Verknüpfung von Bild und Musik durch die elektronischen Medien gilt sie als „Geburtsstunde der Medienkunst“. Fast unbemerkt, geschahen im Fernsehraum die ersten Fernsehexperimente in der Kunst. Gleichzeitig markiert die Ausstellung einen Wendepunkt in Nam June Paiks Werkentwicklung in der Erweiterung seines Aktionsfeldes von der Musik über die Fluxusaktion bis hin zur Medienkunst.

Die ‚Galerie als Experimentierfeld’ steckte Anfang der 1960er Jahre noch in den Kinderschuhen – doch darf Rolf Jährling als einer der Vorreiter einer Galeristengeneration gelten, die sich durch Risikobereitschaft und Neugier auf die Auslotung der Grenzen des Ausstellbaren auszeichnet. Joseph Beuys, der am Eröffnungsabend in einer blitzschnellen Aktion eines der ausgestellten Klaviere zertrümmerte, honoriert diese Eigenschaften in einem Brief an den Galeristen vom 18.5.1963: „Nach der Reaktion des Wuppertaler Publikums auf die wunderbare Paiksache bei ihnen die ich für eine historische Tat halte und wofür ich ihnen nochmals meinen allergrössten Respekt zum Ausdruck bringen möchte, wage ich gar nicht so etwas anzubieten.“ Joseph Beuys reagiert hier auf ein Angebot von Jährling bei ihm auszustellen. Zu diesem Zeitpunkt fühlt er sich noch einem anderen Galeristen verpflichtet, erst zwei Jahre später sollte er in dem legendären 24-Stunden-Happening in der Galerie Parnass als einer der Akteure teilnehmen.

Ob die Ausstellung bei den Besuchern, zu denen auch Kunden des Architektenbüros gehörten, auf Verständnis stieß, ist eher zweifelhaft. In der Presse wurde sie kontrovers diskutiert. An die bereits im Vorfeld mit der Ausstellung verbundenen Aufregungen und Nervenkitzel erinnert sich lebhaft Anneliese Jährling, Frau von Rolf Jährling: der Metzger habe den Kuhkopf versehentlich an die falsche Adresse, ins Nachbarhaus des Oberbürgermeisters Frohwein, geliefert und dort einen Aufschrei ausgelöst. Kurz nach Ausstellungseröffnung alarmierten die Nachbarn die Polizei, da der in der Tür hängende Tierkopf gegen das „Kadavergesetz“ verstieß: wenige Zeit später sollte dieser im Garten der Villa vergraben werden.