skip to content

In memoriam Helga Müller | 2025

Am 4. März 2025 ist die Stuttgarter Galeristin Helga Müller gestorben. Gemeinsam mit ihrem Mann Hans-Jürgen Müller leitete sie seit 1982 eine Galerie in Köln und Stuttgart und betrieb das visionäre Projekt eines großangelegten Kulturparks MARIPOSA auf Teneriffa.

Gegründet wurde die Galerie von Hans-Jürgen Müller (1936–2009) im Jahr 1958 in Stuttgart. Unter dem Namen Galerie Hans-Jürgen Müller zeigte er ab 1959 unterschiedlichste Positionen der deutschen Kunst von Erich Hauser, Thomas Lenk, Lambert Maria Wintersberger, Dieter Roth und Stefan Wewerka, Otto Piene, Günther Uecker, Rupprecht Geiger, Karl Fred Dahmen bis Erich Heerich oder Wols. Als einer der ersten in Europa präsentierte er amerikanische Künstler wie Cy Twombly, Morris Louis, Robert Mangold, Frank Stella oder Sol LeWitt.

1967 war Hans-Jürgen Müller Mitbegründer des ersten Kölner Kunstmarkts (heutige ART COLOGNE) und eröffnete ein Jahr später seine zweite Galerie in Köln. Mit Beginn der 1970er Jahre verwirklichte er mit Kolleg:innen das erste deutsche Galeriehaus für zeitgenössische Kunst, das „Galeriehaus Lindenstraße“, das unter seinem Dach sieben Galerien vereinte. Hier gründete er auch die Kölner Kunst-Börse, um Sammler:innen die Gelegenheit zum Tauschen von Kunst zu ermöglichen. 1972 kehrte er nach Stuttgart zurück und übergab die Galerie an seine Mitarbeiterinnen Carla Stützer und Agnes Wintersberger. Müller zog nach Teneriffa und widmete sich fortan konzentriert einem Buchprojekt Kunst kommt nicht von Können. In dem legendären Buch und Erlebnisbericht über 15 Jahre Kunstvermittlung wollte er Menschen (Laien) an die moderne Kunst heranführen.

1977 lernte er seine zweite Frau Helga Müller kennen, mit der eine enge Lebens- und Arbeitsbeziehung entstand. 1982/83 zog das Ehepaar nach Köln, mietete Galerieräume in der Schaafenstraße 25 an und zeigte vornehmlich die Kunst der ‚Jungen Wilden’ der 1980er Jahre. Hans-Jürgen Müller konzipierte visionäre Ausstellungsprojekte wie Europa 79 – Kunst der 80er Jahre (zusammen mit Max Hetzler und Ursula Schurr) in Stuttgart mit einem Blick auf die Kunst der kommenden Dekade. Gleichzeitig begann er zusammen mit Johann-Karl Schmidt, damaliger Kustos am Hessischen Landesmuseum Darmstadt, die Sammlung Tiefe Blicke. Kunst der achtziger Jahre aufzubauen, die als Leihgabe im Hessischen Landesmuseum Darmstadt beherbergt wurde. 1987 wurde die Galerie wieder nach Stuttgart verlegt und als A®tlantis Kunst + Design GmbH eingetragen.[1] Noch in Köln begann das Ehepaar 1984 mit der Konzeption eines Zukunftsprojektes Atlantis – Akademie auf Zeit für Kultur, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft auf Teneriffa, eines Lebenswerkes, das sie als groß angelegte Kulturinitiative verstanden und das als Begegnungsstätte zum Zusammenwirken von Kunst und Wissenschaft dienen sollte. Sie luden bekannte Architekten wie Léon Krier und Frei Otto ein, um Entwürfe für einen Kulturpark zu entwickeln. Mit der zunehmenden Kommerzialisierung des Kunstmarktes wollten sie „einen Beitrag zur notwendigen gesellschaftlichen Kursänderung leisten“ und „nachhaltige Konzepte für eine ästhetisch und kulturell gesteuerte Zukunft entwickeln helfen“.[2]

Auf Einladung von Jan Hoet stellten Helga und Hans-Jürgen Müller auf der documenta IX 1992 das Projekt Atlantis (später MARIPOSA) 100 Tage lang im eigenen Pavillon vor dem Fridericianum in Kassel zur Diskussion, gleichzeitig entstand der SWR-Fernsehfilm von Rudij Bergmann Mensch Müller, laß’ die Welt doch untergehen!.

Im Jahr 1993 begannen die Bauarbeiten an dem Kulturprojekt im Südwesten Teneriffas unter dem neuen Namen MARIPOSA (spanisch: Schmetterling). Unter Mitwirkung von über 80 Künstler:innen gestalteten Hans-Jürgen und Helga Müller im Laufe der nächsten zwanzig Jahre den weitläufigen Kulturpark in Arona auf Teneriffa. Ihre Zukunftsvision wurde 2001 Wirklichkeit mit der Gründung der Zukunftswerkstatt MARIPOSA, eine einmalige Anlage mit Kunstwerken, Wegen, Plätzen, Räumen und individuellen Übernachtungsmöglichkeiten. Im selben Jahr erschien die reich bebilderte Publikation Zukunftswerkstatt MARIPOSA. Ein Kulturprojekt im Regensburger Verlag Lindinger + Schmid.[3]

Wichtiges Anliegen des Ehepaars war es, interdisziplinäre Begegnungen von Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur mit Künstler:innen und Kreativen, angeregt durch die Begegnung mit Kunst und der Schönheit des Ortes zu ermöglichen, um neue, kreative Denkweisen zu erproben, wichtige Themen der Zukunft zu diskutieren und Lösungsansätze zu erarbeiten. Diese neue Art von Think-Tanks – den sogenannten MARIPOSIEN® – waren ein eigens entwickeltes Format für diesen Ort. Ziel war es diese Ergebnisse an den jeweiligen Wirkungsstätten umzusetzen, um einen Wandel in der Gesellschaft zu bewirken.[4]

Parallel zum Projekt MARIPOSA kuratierten Helga und Hans-Jürgen Müller Ausstellungen in der Stuttgarter Galerie A®tlantis. Die Galerie nahm an Messen teil wie der ersten ART Karlsruhe 2004 mit einer Ausstellung von Kunstwerken von Günter Förg und Arnulf Rainer, die auf MARIPOSA entstanden sind. Von 2002 bis 2005 stellte das Projekt MARIPOSA auf der ART COLOGNE aus. Für ihr Engagement wurden Helga und Hans-Jürgen Müller 2003 vom Club of Budapest mit dem Change-the-World-Award ausgezeichnet.

Nach dem Tod von Hans-Jürgen Müller im Jahr 2009 führte Helga Müller die Galerie A®tlantis in Stuttgart als Geschäftsführerin alleine weiter. Es fanden kontinuierlich Ausstellungen statt, mit Künstler:innen des Programms und neuen Entdeckungen. Mit unermüdlichem Einsatz entwickelte sie MARIPOSA auf Teneriffa weiter und kämpfte für die Idee, neue Wege hin zu einer humanen Gesellschaft zu finden. Bis zur Pandemie veranstaltete sie zahlreiche MARIPOSIEN® und hielt viele Vorträge zu Themen wie Kreativität und Innovation – Die Bedeutung von Schönheit für ein Neues Denken in verschiedenen Institutionen.

Als einer der ersten Galeristen übergab Hans-Jürgen Müller im Jahr 1994 einen Teil seines Galeriearchivs dem ZADIK. Darunter befinden sich auch Materialien zum Atlantis-Projekt bis 1994 (Bestand A 12).

Helga Müller „verkörpert geradezu dieses Lebensprojekt, bei dem Kunst nicht auf ihren Marktwert reduziert wird, sondern als Inspiration gilt, als Anstoß zu kreativem Denken und Handeln“, wie in einer Ankündigung des Videoportraits „Helga Müller, ein Fragment“ der Künstlerin Sabine Bürger festgehalten wurde.“[5]

 

 


[1] https://galerie-artlantis.eu (16.04.2025).

[2] Interview von Ann-Katrin Günzel mit Helga Müller über das Projekt ATLANTIS-MARIPOSA, in: Kunstforum International, Band 275 „UTOPIA“, S. 146–153.

[3] Hans-Jürgen Müller / Helga Müller (Hrsg.): Zukunftswerkstatt MARIPOSA. Ein Kulturprojekt, Verlag Lindinger+Schmid, Regensburg 2001. 

[4] https://kulturpark-mariposa.com/die-idee (16.04.2025).

[5] Videoportrait „Helga Müller, ein Fragment“ von Sabine Bürger. http://www.sabine-buerger.de/helga-mueller_d.html (17.04.2025).