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Galeriehaus Köln, Lindenstraße 18-22

Das „Galeriehaus Köln“ in der Lindenstraße 18-22 war Ende der sechziger Jahre das erste deutsche Galeriehaus für zeitgenössische Kunst, das unter seinem Dach sieben Galerien vereinte. Seine Gründung fiel in eine Zeit der kulturellen Aufbruchstimmung, ins politisch ereignisreiche Jahr 1968, auf dem Höhepunkt der Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen, die sich auf politischer Ebene in den Protest- und Demokratisierungsbestrebungen äußerten und sich auch auf kultureller Ebene auswirkten. Impulsgebend für die Entwicklung der Stadt zur Kunstmetropole wirkte der von den Kölner Galeristen Hein Stünke und Rudolf Zwirner im Jahr zuvor ins Leben gerufene "Kunstmarkt Köln '67". Mit Unterstützung des Kulturdezernenten Kurt Hackenberg wurde diese erste Messe für moderne Kunst mit 15.000 Besuchern in 5 Tagen zur Initialzündung für einen Aufschwung des Handels mit moderner Kunst und hatte zur Folge, dass sich das nationale wie internationale Kunstinteresse stark auf Köln konzentrierte. Mit Eröffnung des zweiten Kunstmarktes 1968 und der neuen Kunsthalle sowie den neuen Räumen des Kölnischen Kunstvereins bot die Stadt der Messe die Möglichkeit einer größeren Ausstellungsfläche und sorgte mit dafür, dass sich Köln zu einem Zentrum der künstlerischen Avantgarde entwickelte.

 Nach diesem durchschlagenden, ebenso kulturpolitischen wie wirtschaftlichen Erfolg des Kunstmarkt Köln zogen Galerien aus der gesamten Bundesrepublik nach Köln, wie die Galeristen Rolf Ricke aus Kassel, Dieter Wilbrand aus Münster, Hans Neuendorf aus Hamburg, oder sie etablierten hier eine Galeriefiliale, wie Heiner Friedrich aus München, die gemeinsam 'Kölns Weg zur Kunstmetropole' bereiteten.

 Die Brüder Christoph und Andreas Vowinckel entwickelten die Initiative für ein Galeriehaus in der Kölner Lindenstrasse 18-22 nach New Yorker Vorbild. In Verbindung mit den Vorbereitungen für die documenta 4 in Kassel reiste Andreas Vowinckel zusammen mit Jan Leering, dem damaligen Leiter des van Abbemuseums in Eindhoven und Hein Stünke 1967 nach New York. Im Rahmen dieser Reise besuchten sie die Ateliers der auf der documenta IV (1968) erstmals in Europa in diesem Umfang vorgestellten Künstler der Pop Art und deren Galerien. Außer Leo Castelli, Ileana Sonnabend, bildeten einige von ihnen vor allem in der 57 th Street Midtown Manhattan wie Dwan Gallery, Andre Emmerich, M. Knoedler & Co., Fischbach Gallery oder Sidney Janis, über mehrere Stockwerke oder in unmittelbarer Nachbarschaft ein Galerienzentrum.

 Bereits 1964 hatte Andreas Vowinckel als Geschäftsführer der documenta-Foundation e.V. anläßlich der documenta III Rolf Ricke in Kassel kennengelernt. 1967/68 konnte er ihn überzeugen, seine noch junge Galerie für aktuelle zeitgenössische Kunst von Kassel in die vom Kunstmarkt motivierte, aufstrebende Kunststadt Köln zu verlegen. Im Frühjahr 1968 eröffnete Rolf Ricke als erster Galerist seine neuen Räume in dem renovierten Erdgeschoss.

Angeregt durch den Kunstmarkt waren Galerieräume seit 1968 sehr gesucht. Im Verlauf des Wiederaufbaus und der Fertigstellung des Bürogebäudes als "Galeriehaus" wurden entsprechende Räume unter der Leitung von Christoph Vowinckel in enger Absprache mit und wenn möglich nach den Wünschen der interessierten Galeristen speziell gestaltet. Dies führte dazu, dass vor allem im Vorderhaus Räume ohne Zwischenwände geschaffen oder spezielle Wände und Einrichtungen nach Bedürfnissen des Galeristen gesetzt wurden. Ursprünglich sollten, wie nach New Yorker Vorbild, möglichst namhafte Galerien an das neue Galeriehaus gebunden werden, um die Kunststadt Köln mit und neben den schon ansässigen Galerien weiter zu profilieren Köln wurde zunehmend zum zentralen Umschlagplatz für Kunst, und immer mehr Künstler wollten in Köln durch ihre Galerien vertreten sein und zogen ihnen nach. Bis 1971 etablierten sich insgesamt sieben Galerien im Galeriehaus: Heiner Friedrich, Hans-Jürgen Müller, Hans Neuendorf, Reinhard Onnasch, Rolf Ricke, M.E. Thelen und Dieter Wilbrand.

Erstmals stellten im Jahr 1968 auch ausländische Galerien auf dem Kunstmarkt Köln aus, ein Phänomen, das die Brüder Vowinckel veranlasste, auch internationale Galerien für das Galeriehaus anzuwerben: "Die Tatsache, dass wir 1967 in New York waren und 1967 der Kölner Kunstmarkt den internationalen Kunstmarkt aufhorchen ließ - Leo Castelli, Ileana Sonnabend und die Marlborough Gallery kamen nach Köln und waren überrascht über die Dynamik dieser Stadt - kam uns die Idee, ob diese Galerien nicht eine Dependance in dem Galeriehaus in Köln eröffnen könnten. Castelli und Sonnabend waren damals schon führende Galerien und diese Überlegung, diese internationalen Galerien an einem Ort in Köln zu versammeln, war für uns sehr attraktiv. Das ist aber dann gescheitert. Es waren handelsrechtliche Fragen, wie z.B. dass sie hier Firmen gründen mussten, wenn sie in Deutschland eine Dependance eröffnen wollten....". Da die Erfahrungen mit den Kunstmessen deutlich gezeigt hatten, wie positiv Kunden und Sammler ein dichtes Angebot annahmen und wie eine starke Präsenz vieler Positionen an einem Ort das Geschäft beleben konnte, setzte sich in Köln die Tendenz durch, die Galerieräume nah beieinander, in einem Viertel oder möglichst einer Straße, zu eröffnen.

Im Januar 1971 beschlossen die sieben Galerien Friedrich, Müller, Neuendorf, Onnasch, Ricke, Thelen (Jöllenbeck/Nickel) und Wilbrand ihre Presse-Aktivitäten zu koordinieren und gründeten eine eigene Galeriehauszeitschrift. Initiiert von den Brüdern Vowinckel wurde mit dem Galeriehaus erstmals die Idee von gemeinsamen Ausstellungseröffnungen geboren. Der gemeinsame Termin bewirkte einen Publikumsschub für die gesamte Kölner Galerieszene. Ein weiteres Ziel war es, das Galeriehaus verstärkt als Forum für gemeinsame Auftritte und Eröffnungen zu nutzen und neue Märkte zu erschließen. Hans-Jürgen Müller als gelernter Werbefachmann übernahm die Gestaltung des Heftes. Nach neun Ausgaben (1-9/1971) wurde das Heft allerdings wieder eingestellt. Um diese wichtige Initiative fortzusetzen, wurde ab 1972 als Alternative einmal jährlich der "Kunst-Spiegel" im Abonnement von den beteiligten Galerien mit einer "Kunstbörse" bis 1975 herausgegeben. In der Hauptzeit des Galeriehauses von 1968 bis 1973 fanden wegweisenden Ausstellungen oder Auftritte statt, das Galeriehaus wurde für vier Jahre zum "Zentrum des Geschehens" (Willi Bongard).

Galerie Heiner Friedrich

Mediales Aufsehen erregte 1970 der Auftritt des englischen Künstlerduos Gilbert & George in der Kölner Dépendance der Münchener Galerie Heiner Friedrich. Am 15.5.1970 performten Gilbert und George anlässlich der Eröffnung der Ausstellung von Konrad Lueg ihre "Singing Sculpture". Acht Stunden täglich sangen die Künstler, als lebende Skulpturen auf einem Tisch stehend mit metallisch angemalten Gesichtern, in genau festgelegten Bewegungen ein und dasselbe Lied und machten sich selbst zum Kunstobjekt. 1971 präsentierte Heiner Friedrich europäische und amerikanische Underground-Filme von Andy Warhol, Kenneth Anger, Robert Wiene oder Gregory Markopoulos. Bereits 1968 hatte die Filmgruppe X-Screen - Kölner Studio für den unabhängigen Film um die Filmemacherin Birgit Hein mit Experimentalfilmen im Kölner U-Bahnschacht am Neumarkt für Aufsehen und Beschlagnahmungen von Filmmaterial gesorgt.

Galerie Rolf Ricke

Die 1963 in Kassel gegründete Galerie Rolf Ricke stellte bereits früh amerikanische Künstler erstmals in Einzelausstellungen in Europa vor. In Kassel zeigte Ricke Werke der amerikanischen Pop Art, wie 1966 von Mel Ramos, 1967 Richard Hamilton, Jim Dine und Robert Rauschenberg. Mit dem Umzug 1968 in die größeren Räume des Galeriehaus Köln konnte Ricke erstmals Ausstellungen mit großformatigen Skulpturen amerikanischer Künstler realisieren. 1968 zeigte er die erste europäische Einzelausstellung von Richard Serra, den er während seiner Reisen in die USA kennen gelernt hatte. Danach folgten Ausstellungen von Richard Artschwager, Bill Bollinger, Gary Kuehn, Keith Sonnier, Barry Flanagan, Robert Rauschenberg u.a. Am 13. November 1970 stellte bei Rolf Ricke der amerikanische Künstler James Rosenquist aus. In den großen Räumen der Lindenstraße entwickelte Rosenquist das rund 50 Quadratmeter große Environment "Slush Thrust" bestehend aus 18 zimmerhohen, ölgemalten Leinwänden und Rahmen mit reflektierender Polyesterfolie. Der Raum wurde jeden Abend um 18 Uhr für 20 Minuten - betrieben aus einer Trockeneismaschine - in Nebelschwaden gehüllt. Erste internationale Anerkennung hatte Rosenquist 1964 auf der documenta mit dem großformatigen Gemälde F-111(Bomber) erlangt, dem Abbild eines in Vietnam verwendeten US-Jagdbombers. Rolf Ricke war zusammen mit Konrad Fischer einer der ersten Galeristen, der amerikanische Künstler nach Köln holte und sie vor Ort das Ausstellungskonzept und die Räume einrichten ließ. Seine Galerie wurde zur Werkstatt oder zum Atelier, seine Arbeitsweise, die enge Arbeit mit den Künstlern vor Ort, prägte einen neuen Galerietypus, den der Site-specific-Galerie-Installation.

Galerie Onnasch

Die Ausstellungen in der Galerie Onnasch waren sowohl raumgreifend als auch von musealem Charakter. Reinhard Onnasch, der in Berlin auch als Immobilienmakler tätig war, stellte in den Räumen großformatige Bilder von A.R. Penck aus, Environments mit Gipsfiguren von Georg Segal oder große Assemblagen, wie z. B. von Edward Kienholz. Bekannt wurde Edward Kienholz in Deutschland, als er 1968 auf der Kasseler documenta sein Environment "Roxys" ausstellte. Das Environment, bestehend aus auf Trödelmärkten zusammengesuchten 'objets trouvés' wie Schaufensterpuppen, Möbeln, Teppichen, Nippsachen, Goldfischen, Räucherwerk und Desinfektionsmitteln, war auch die erste große Arbeit, die der Galerist und Sammler Reinhard Onnasch ankaufte. Im Februar 1973 arbeitete Edward Kienholz im Galeriehaus und richtete zwei Räume der Galerie Onnasch ein: in dem Environment "The eleventh hour final, 1968"(Spätnachrichten zur elften Stunde) wurde der Galerieraum zum Wohnzimmer: eine Couch und Beistelltisch mit einem "Fernseh-Grabstein" aus Beton, der den abstrakten (unkontrollierten, entrückten) alltäglichen Fernsehkonsum der Spätnachrichten mit unzähligen Toten und Verwundeten zur Zeit des Vietnamkriegs anprangert. Die zweite Arbeit "The Tadpole Piano Pool with Woman affixed also" (Kaulquappen-Klavier-Aquarium mit einer hinzugefügten Frau) bestand aus einem Gips- und Fieberglasabguss einer schwangeren Frau, moniert auf einem Klavier, dessen Inneres als Aquarium mit Wasserpflanzen, Naturwasser und Fröschen gefüllt war.

Galerie M.E. Thelen

Die 1965 von Ernst Jöllenbeck und Michael Nickel in Essen gegründete Galerie stellte 1968 die Arbeiten von Paul Thek "A Procession in Honor of Aesthetic Progress: Objects to Theorestically Wear, Carry Pull or Wave" in der ersten Einzelausstellung in Deutschland aus.

 Galerie Dieter Wilbrand

Ein ganz anderes Konzept verfolgte die Galerie Dieter Wilbrand. Seit Beginn seiner Galerietätigkeit widmete sich Wilbrand der Herausgabe von Editionen und Grafiken und war nicht auf eine Kunstrichtung spezialisiert. 1973 gab er das Buch „Internationale Graphik des 20. Jahrhunderts“ heraus, das gleichzeitig sein Verkaufsangebot war. Das Buch mit 240 Seiten 600 Graphiken von 210 Künstlern, war laut Wilbrand einmalig: „Es gibt keinen Katalog dieser Art irgendwo sonst.“

 Galerie Oppenheim

Auch für die seit Ende der 1960er Jahren einsetzende Erprobung von neuen Medien wie Fotografie, Film und Performances bot das Galeriehaus ein experimentelles Forum. Als eine der ersten Galerien für Videokunst eröffnete im Oktober 1974 Ingrid Oppenheim im Galeriehaus ein Video-Studio mit Galerie, das sich als Schaufenster und Produktionsstätte der ersten Videokünstler-Generation in Deutschland entwickelte. Die Galerie vertrat Künstler wie Sigmar Polke, Katharina Sieverding, Ulrike Rosenbach, Imi Knoebel und Klaus vom Bruch und hat in den 1970er Jahren - wie zuvor die Fernsehgalerie Gerry Schum und die Galerie Projektion von Ursula Wevers - die Etablierung der Videokunst sehr erfolgreich vorangetrieben.

Der Erfolg des Galeriehaus-Konzepts wurde im Laufe der 1970er Jahre sichtbar: die Konzentration von Galerien und die gemeinsamen Eröffnungen an einem festen Termin (meistens ein Freitag) wirkte sich auf einen Zuwachs von Besuchern aus, von dem auch benachbarte Galerien, wie die des aus Frankfurt hinzugezogenen Paul Maenz profitierten: "1970/71 endlich eröffnete ich meine eigene Galerie. Ich hatte zum Glück Köln als Standort gewählt, was sich in den folgenden Jahren zum idealen Marktplatz für Kunst entwickelte. Christoph Vowinckel stellte sein großes Bürohaus in der Lindenstraße Kunsthändlern zur Verfügung. Ich fand einen Fabrikraum direkt neben diesem Galeriehaus, durch eine Toreinfahrt zu erreichen." (Paul Maenz im Gespräch mit Stella Baum, Kunstforum International, Bd. 106, 1989).

Das Einstellen der Galeriezeitung 1971 markierte einen Mentalitätswandel, der sich auch allgemein am Kunstmarkt durchsetzte: die Konkurrenz (-veranstaltungen) untereinander nahm(en) zu, wie Andreas Vowinckel beschreibt: "Das Scheitern der gemeinsamen Aktivitäten ist für die Mentalität der Galeristen eine typische Entwicklung, da das individuelle Profil der Galerien immer wichtiger wurde. Sie konnten in der Enge des Hauses, so großzügig das alles war, sich nicht so realisieren. Auch die Kommerzialisierung der Kunst, bedingt durch den Kunstmarkt Köln, die Gründung von neuen Kunstmessen, wie 1970 die Art Basel, hatte enorm an Dynamik zugenommen." Bereits 1972 begann sich die erste Generation der Galeristengemeinschaft in der Lindenstraße aufzulösen. Als erste verließen 1973 Hans-Jürgen Müller und Hans Neuendorf das Galeriehaus. Müller zog wieder nach Stuttgart, um dort seine "Hauptgalerie" weiterzuführen, aber seine im September 1971 neu gegründete Firma "Kunstbörse & Kundengalerie", die Sammlern Gelegenheit zum Kunsttausch bot, blieb in Köln. Noch in Köln hatte Müller 1984 mit der Konzeption eines Zukunftsprojektes ‚Atlantis’ begonnen, seines Lebenswerkes, das er als groß angelegte Kulturinitiative verstand. Seine Vision wurde 2001 Wirklichkeit mit der Gründung der ‚Zukunftswerkstatt Mariposa’, einem großflächigem Kunstpark mit Ateliers in Arona auf Teneriffa. Hans Neuendorf ging zurück nach Hamburg und wurde Anfang 1990 bekannt als Gründer der New Yorker Internetfirma artnet.com. Reinhard Onnasch ging wieder zurück nach Berlin und widmete sich weiter der dortigen Galerie und dem Immobiliengeschäft. Das Galeriehaus erfuhr ab 1973 eine Umschichtung in der Besetzung, die zum Teil auch durch allgemeine Veränderungen in der aktuellen Kunstszene bedingt war. Die Galerie Heiner Friedrich zog unter der Leitung von Thordis 1975 um in die Bismarckstraße, Heiner Friedrich selbst hatte 1972 Deutschland den Rücken gekehrt und war nach New York gegangen, um zunächst 1973 eine neue Galerie und im Jahr darauf die Dia Art Foundation zu gründen. 1975 zog Rolf Ricke in andere Räumlichkeiten in den Kölner Rinkenpfuhl 20-26. Seit 1974/75/76 war eine zweite Generation von Galerien eingezogen: nach Ricke eröffnete Karsten Greve 1976 in denselben Räumen seine Galerie, auf Müller folgte die Galerie Wintersberger, auf Heiner Friedrich nach einem kurzen Zwischenspiel der Galerie Ambaum 1974 die Galerie Ingrid Oppenheim. Von der ersten Generation blieben Dieter Wilbrand und Karl-Ernst Jöllenbeck/Michael Nickel (ehemals Galerie M.E. Thelen). Mit Anfang der 1980er Jahre löste sich das Galeriehaus langsam auf, die Galerien suchten sich andere Räume, um ihre Individualität und ihr Galerieprofil zu schärfen. Als längster blieb Dieter Wilbrand mit seiner Galerie im Haus - bis zu seinem Tod im März 2014.

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