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Studientag | 13.12.2024 | ZADIK

Das Archiv und die Sammlung Gottlieb Friedrich Reber: Potentiale und Perspektiven

Mit dem Archiv Gottlieb Friedrich Reber (1880–1959) liegt im ZADIK erstmals eine zusammenhängende Dokumentation der Aktivitäten des gleichnamigen Kaufmanns, Sammlers, Mäzens und zeitweisen marchand-amateur und Freimaurers vor. Reber baute in Deutschland und der Schweiz eine der bedeutenden europäischen Privatsammlungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf. Die Sammlung umfasste einen umfangreichen Bestand der französischen Moderne des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, ebenso vereinzelte Werke Alter Meister sowie eine breite Auswahl an nicht-europäischer Kunst und archäologischer Artefakte.

Der Bestand enthält Archivalien sämtlicher Sammlungsphasen und gibt Aufschluss über Rebers Aktivitäten im damaligen Kunstsystem. Bis Sommer 2024 konnte die Erschließung und Digitalisierung des gesamten Archivbestands sowie die Transkription erster für die weitere Forschung relevanter Basisdaten durchgeführt werden. Hierbei zeigte sich, dass neben der sammlungshistorischen Forschung der Bestand auch insbesondere für Fragen der Provenienzforschung von Interesse ist.

Im Rahmen des Workshops stellt Sebastian Hammerschmidt die Erschließungsgeschichte des Archivbestands vor. Außerdem geben er und zwei weitere Doktorand:innen, Sina Knopf und Madeleine Schneider, Einblicke in drei aktuell laufende Promotionsprojekte. Darüber hinaus wird die in New York ansässige Kunsthistorikerin Luise Mahler in einem Abendvortrag anhand ausgewählter Archivalien die komplexe Persönlichkeit Rebers zur Diskussion stellen. Neben der Diskussionsrunde zu den Forschungsbeiträgen besteht die Möglichkeit, erste Einblicke in den Archivbestand zu erhalten und sich über weiterführende Forschungsfragen und Potentiale auszutauschen.

Die Veranstaltung wird unterstützt durch die Gesellschaft zur Förderung des ZADIK e.V.

Programm

15:00 Grußworte

Yasmin Mahmoudi / Dr. Katja Terlau (Gesellschaft zur Förderung des ZADIK e.V.)

apl. Prof. Dr. Nadine Oberste-Hetbleck (ZADIK | Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarktforschung, Universität zu Köln)

15:10–15:40 Sebastian Hammerschmidt (Stipendiat Deutsches Forum für Kunstgeschichte Paris | Institut national d’histoire de l’art): Zur Sammlung G. F. Reber und der Erschließungsgeschichte seines Archivs

15:40–16:10 Sina Knopf (Doktorandin, Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA), Zürich und Kunsthistorisches Institut, Universität Zürich): «Gottlieb Friedrich Reber und Hans Wendland. Eine Geschäftsbeziehung im Spiegel der Quellen»

16:10–16:30 Pause

16:30–17:00 Madeleine Schneider (Doktorandin, Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik, Technische Universität Berlin): „Forschungseinblick: Kulturgütertransfer aus Italien 1937-1945. Fokus Gottlieb Friedrich Reber“

17:00–17:30 Sebastian Hammerschmidt: Ein „Querschnitt durch Jahrtausende“. Sammlung und Archiv Reber und der Anspruch einer Weltkunstgeschichte

17:30–18:00 apl. Prof. Dr. Nadine Oberste-Hetbleck, Moderation: Das Archiv Gottlieb Friedrich Reber im ZADIK und seine Potentiale für Forschung und Institutionen

18:00–18:30 Pause

18:30–19:30 Luise Mahler (Unabhängige Wissenschaftlerin und Adjunct Associate Professor for Art Market Studies an der Graduate School des FIT, New York): “Er hat Cézanne ‘die Befreiung‘ verdankt“: Zur Komplexität von G. F. Reber

 

Abstracts der Sprecher:innen

Sebastian Hammerschmidt: Zur Sammlung G. F. Reber und der Erschließungsgeschichte
seines Archivs
Von der kunsthistorischen Forschung weitgehend übersehen, baute Gottlieb Friedrich Reber (1880–1959) eine der bedeutenden europäischen Privatsammlungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf. Die Einführung gibt einen Überblick über die Entwicklung und Schwerpunkte der Sammlung, fokussiert vor allem aber auf die Erschließungsgeschichte des Archivs Reber (ZADIK, E 10). Dieses bildet eine außergewöhnlich dichte Dokumentation der Aktivitäten des Sammlers, zugleich lassen sich mit ihm grundsätzliche Fragen für die Arbeit mit Archiven von Akteur:innen des Kunstmarkts stellen.

Sebastian Hammerschmidt: Ein „Querschnitt durch Jahrtausende“. Die Sammlung Reber
und der Anspruch einer Weltkunstgeschichte
Während der 1920er Jahre wird das öffentliche Bild der Sammlung Reber vor allem von ihren herausragenden Beständen der französischen Moderne dominiert. Dies ändert sich ab 1929 und eine zweite Rezeptionslinie tritt hinzu. In zahlreichen Artikeln wird die Sammlung nun mit dem Anspruch einer Weltkunstgeschichte in Verbindung gebracht. Dabei ging es dem Sammler offenbar um eine Art Tiefengeschichte der Moderne. Schon Carl Einstein resümiert, dass Reber Künstlern wie Picasso und Braque „ihre geschichtliche Projektion und Tiefe [schuf]. Er zeigt die große geschichtliche Überlieferung der entscheidenden Moderne.“ Wie spiegelt sich dieser Anspruch einer Weltkunstgeschichte im Archiv des Sammlers wider? Welchen Strategien und Narrativen folgte Reber in der Präsentation der Sammlung in seinen Privaträumlichkeiten, die das Archiv ungewöhnlich ausführlich dokumentiert? Und welche Aussagen lassen sich treffen über Ordnungs- und Organisationsprinzipien der Sammlung, wie sie sich in Inventarverzeichnissen und Objektblättern artikulieren? Gezeigt wird, wie sammlungshistorische Fragen und das Dispositiv „Archiv“ zusammen zu denken sind.

Sina Knopf: Gottlieb Friedrich Reber und Hans Wendland. Eine Geschäftsbeziehung im Spiegel
der Quellen
„Some 15 years ago [Wendland] was a partner of Reber but after a lawsuit their partnership was dissolved“ – Dieser Auszug aus einem auf den 16. Juli 1945 datierten Dokument verweist retrospektiv erstmals auf eine Beziehung zwischen Gottlieb Friedrich Reber (1880–1959) und Hans Wendland (1880–1972) in den 1930er Jahren. Unter Berücksichtigung der spezifischen Entstehungskontexte der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg verfassten Quellen wurde die mögliche Partnerschaft der beiden Akteure anhand weiterer Dokumente geprüft, um quellenbasiert Rückschlüsse über die Validität der Aussage zu ziehen. Die Untersuchung der Quellen zeigt Berührungspunkte zwischen Reber und Wendland ab 1912, zunächst vor allem in Paris und später in der Schweiz, wo Reber ab 1919 und Wendland ab 1921 lebten. Auf dem Pariser Kunstmarkt agierte Wendland als Agent und erwarb bedeutende Werke, wie beispielsweise Le garçon au gilet rouge von Paul Cézanne (1839–1906), für Rebers Sammlung in Barmen. Der Erste Weltkrieg und die damit verbundenen Umbrüche führten jedoch zum vorzeitigen Ende von Wendlands Tätigkeit für Reber in Paris, wodurch direkte Interaktionen in den folgenden Jahren zunehmend seltener wurden beziehungsweise in den verfügbaren Quellen nicht dokumentiert sind. Überschneidungen in ihrem Umfeld, etwa mit Paul Rosenberg (1881–1959) oder der Galerie Fischer in Luzern, belegen jedoch fortwährende Berührungspunkte der Akteure bis in die frühen 1930er Jahre. Ein Adressbuch aus dem Teilnachlass Rebers, das sich im ZADIK befindet, liefert weitere Hinweise auf gemeinsame Kontakte und das überschneidende Netzwerk, indem sie sich in der Schweiz bewegten. Die zentralen Herausforderungen einer abschließenden Rekonstruktion der Beziehung der beiden Akteure ergeben sich einerseits aus der fragmentarischen Quellenlage, insbesondere dem Fehlen von Wendlands Nachlass und dem nur in Teilen erhaltenen Nachlass Rebers, und andererseits aus den bestehenden Forschungsdesideraten zu beiden Personen. Im Rahmen der Dissertation der Autorin zu Wendland an der Universität Zürich wurde diese Geschäftsverbindung untersucht und historisch-kontextuell eingebettet, um den Einfluss von persönlichen Beziehungen auf die Dynamiken des Kunstmarktes im frühen 20. Jahrhundert zu analysieren. Auch wenn aktuell keine Partnerschaft angenommen und stattdessen von einer losen Kooperation in den frühen 1910er Jahren ausgegangen wird, könnten weitere Forschungen – insbesondere zu Reber – neue Erkenntnisse zu Tage fördern.

Madeleine Schneider: Kulturgütertransfer aus Italien 1937–45. Fokus Gottlieb Friedrich Reber
Für die Bewertung von NS-Raubgut sind die länderspezifischen historischen und rechtlichen Umstände ausschlaggebend. Das wechselvolle Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und dem faschistischen Italien – von Verbündeten zu Kriegsgegnern – ist hinsichtlich des allgemeinen und NS-spezifischen Kulturgütertransfers von besonderem Erkenntnisinteresse. Italien nimmt als „Achsenmacht“ sowohl beim kulturpolitischen Austausch mit dem Deutschen Reich generell als auch speziell bei der Frage der Kooperation und Kollaboration bei der Überwachung oder Umgehung der Bedingungen für Akquise und Ausfuhr von Kulturgütern eine Sonderrolle ein. Darüber hinaus stellt die Sonderrolle Italiens unter den besetzten Gebieten aufgrund der bereits vor der Besatzung eingeführten antisemitischen Gesetzgebungen („leggi razziali“) und deren Auswirkungen auf den Kunstmarkt ein dringendes Forschungsdesiderat dar. Im Rahmen des Promotionsvorhabens gilt es die signifikanten Wissenslücken zu den in Italien agierenden Akteur:innen und bestehenden Strukturen der 1930er und 1940er Jahre, insbesondere des Kunstmarktes, grundlegend zu erforschen.
Im Zuge der quellenbasierten Recherchen kann Gottlieb Friedrich Rebers ambivalente Rolle im italienischen Kontext anhand archivarischer Belege herausgearbeitet werden. Diese geht über seine vermittelnde Tätigkeit zu italienischen Kunstsammler:innen und -händler:innen für Walter Andreas Hofer hinaus. Die Analyse dieser Quellen erweitert den bestehenden Forschungsstand um Erkenntnisse zu asymmetrischen Machtverhältnissen auf dem italienischen Kunstmarkt und dem Spannungsverhältnis der involvierten Protagonist:innen zwischen Kollaborateur:innen und Verfolgten.

 

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